Wie unser totes Kind unser Leben auf den Kopf stellte
Diese kleinen Füße, die ihr auf dem Foto seht, gehören unserer Tochter . Sie hat uns vor einigen Monaten zu Eltern gemacht: zu Eltern von einem Sternenkind.
Ja, wir sind Eltern — ohne, dass man es sehen kann. Das hier ist unsere Geschichte. Ich erzähle sie euch, weil wir das Thema Fehl- und Totgeburt enttabuisieren möchten. Weil wir Awareness schaffen wollen für Sterneneltern, die gesellschaftlich scheinbar keine Rolle spielen. Dabei betrifft es mehr, als die meisten denken.
Unsere Bumblebee ist eins von ca. 3.400 Babys (im Jahr 2021), die in Deutschland jährlich tot zur Welt kommen. Um in Deutschland als tot geboren zu gelten, muss das Baby nach der 24. SSW (Schwangerschaftswoche) oder mit mindestens 500 Gramm Geburtsgewicht zur Welt kommen. Nur so gilt es als Entbindung vor dem Gesetz, so dass der Mutterschutz greift – dazu könnt ihr im Artikel noch mehr lesen.
Wie alles begann
Die ersten Vermutungen, dass unser Kind nicht lange bei uns sein wird, waren schon in der 12. SSW von unserem Gynäkologen geäußert worden. Er hatte in der Sonografie eine massive Nackenfalte feststellen können, die nur bei fünf Prozent der Babys noch dicker ist als bei Bumblebee. Eine dicke Nackenfalte kann ein Hinweis auf einige Krankheiten sein, z.B. Trisomie 13/18/21.
Im Laufe der Schwangerschaft hat er bei weiteren Untersuchungen massive Wassereinlagerungen unter der Haut des Fötus (Hydrops fetalis) und ein zu kleines Herz festgestellt. Beides ist ein Hinweis auf eine weitere mögliche Erkrankung. Auf Anraten unseres Arztes haben wir deshalb in der 16. SSW eine Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese) durchführen lassen.
Nach der Untersuchung der Chromosomen stand die Diagnose unserer Tochter fest:
Sie hat das Ullrich-Turner-Syndrom.
Innerhalb von Sekunden ist uns erst ein Stein vom Herzen gefallen, weil wir endlich wussten, was sie hat. Im nächsten Moment aber ist unsere Welt zusammengebrochen: Unser Kind, das wir uns so sehr gewünscht hatten, ist unheilbar krank und wird die Schwangerschaft sehr wahrscheinlich nicht überleben.
Die Vorbereitungen auf die Totgeburt
Ab dem Moment der Diagnose war absehbar, dass die Schwangerschaft mit Bumblebee nicht lange dauern wird. Deshalb haben wir einige Kliniken im Umkreis abtelefoniert — viele hatten kaum bis keine Erfahrung mit Totgeburten, manche haben (wahrscheinlich aufgrund des Personalmangels?) erst gar nicht auf Mails oder Anrufe reagiert.
Schlussendlich fiel unsere Entscheidung: Der wichtigste Grund war für mich, dass uns das Klinikum zusicherte, nach der Entbindung auf die gynäkologische Station gelegt zu werden. Eigentlich kommt man nach einer Geburt auf die Wochenbettstation.
Stellt euch das mal vor! Du verlierst dein Wunschkind, hast gerade eine Totgeburt durchlebt und musst dann hochschwangere Frauen sehen oder in glückliche Gesichter frisch gebackene Eltern von lebendigen Kindern blicken?
Das alles wollten wir nach meinem Eingriff unbedingt vermeiden – da waren wir uns schon lange vor der Geburt im Klaren gewesen. Zum Tod im Mutterleib kam es bei Bumblebee kurz nach Beginn der 24. SSW: Am 19.07.2022 hat unser Gynäkologe per Ultraschall festgestellt, dass kein Herzschlag mehr zu finden ist.
Es begann eine Zeit, die nicht emotionaler für uns hätte sein können. Wir entschieden uns, noch ein Wochenende mit unserem Baby im Bauch zu verbringen und in aller Ruhe alle Vorkehrungen für die bevorstehende Zeit zu treffen.
Die Geburt
Ende Juli gingen wir ins Klinikum, um die Geburt unseres Mädchens medikamentös einzuleiten. Eigentlich ist das Medikament »Cytotec« dafür da, bei Magengeschwüren zu helfen. Vor vielen Jahren wurde dann eine »Nebenwirkung« erkannt: Es sorgt dafür, dass sich die Gebärmutter zusammenzieht und Wehen auslöst. Das Medikament ist in der Medizin umstritten, wie auch die Süddeutsche Zeitung im Jahr 2020 geschrieben hat.
Nach drei unglaublich schweren Tagen voller Schmerzen wurde unsere kleine Kämpferin spontan geboren. Sie wog 460 Gramm und war 27 Zentimeter groß.
Seit dem 27.07.2022 vergeht kein Tag, an den wir nicht an Bumblebee denken.